Die Europäische Kommission hat am 2. Februar 2022 eine neue Normungsstrategie vorgestellt, die ihr zukünftiges Konzept für Normen im Binnenmarkt und weltweit zusammenfasst. Diese Normungsstrategie soll die globale Wettbewerbsfähigkeit der EU stärken, den Wandel hin zu einer resilienten, grünen und digitalen Wirtschaft ermöglichen sowie demokratische Werte in Technologieanwendungen verankern.
Normen sind zu einer Frage von globaler Tragweite geworden. Andere Regionen verstärken ihren weltweiten Einfluss, indem sie strategischer und entschlossener vorgehen. Um auf solche Herausforderungen reagieren zu können, muss auch das europäische Normungssystem weiterentwickelt werden.
Das immer schneller werdende Innovationstempo, die ökologischen und digitalen Ambitionen und die Auswirkungen technologischer Standards auf die demokratischen Werte der EU erfordern einen zunehmend strategischen Ansatz für die Normung. Auch die Ambitionen der EU im Hinblick auf eine klimaneutrale, resiliente und kreislauforientierte Wirtschaft lassen sich ohne europäische Normen nicht verwirklichen. Eine weltweit bedeutende Rolle bei Normungstätigkeiten und die Federführung in wichtigen internationalen Foren und Institutionen sind für die EU entscheidend, damit sie weiterhin auf globaler Ebene Normen festlegen kann. Durch die Festlegung globaler Normen exportiert die EU ihre Werte und verschafft EU-Unternehmen einen wichtigen Vorsprung.
In der neuen Normungsstrategie werden daher diese fünf zentralen Maßnahmenbündel vorgeschlagen:
01 Den Normungsbedarf in strategischen Bereichen antizipieren, priorisieren und bewältigen
Normen müssen binnen kürzerer Zeit vorliegen und mit der europäischen Innovations- und Politikagenda im Einklang stehen. Die Kommission hat im Normungsbereich Notsituationen ermittelt, die die Produktion von COVID-19-Impfstoffen und -Arzneimitteln, das Recycling kritischer Rohstoffe, die Wertschöpfungskette für sauberen Wasserstoff, CO2-armen Zement, die Zertifizierung von Chips und Datenstandards betreffen. Ab diesem Jahr werden die Normungsprioritäten klar festgelegt, beginnend mit dem jährlichen Arbeitsprogramm der Union für europäische Normung für das Jahr 2022. Es wird ein Hochrangiges Forum eingerichtet, das Impulse für künftige Prioritäten im Bereich der Normung geben soll. Die Kommission wird die Funktion eines Leitenden Normungsbeauftragten schaffen, der in der gesamten Kommission auf hoher Ebene Leitlinien für Normungstätigkeiten vorgibt und von einem EU-Exzellenzzentrum für Normen unterstützt wird, das sich aus Vertretern von Dienststellen der Kommission zusammensetzt.
02 Verbesserung von Governance und Integrität des europäischen Normungssystems
Über europäische Normen, die die Politik und die Rechtsvorschriften der EU unterstützen, müssen europäische Akteure entscheiden. Die Kommission schlägt eine Änderung der Verordnung über die Normung (EU) 1025/2012 vor, mit der die Governance des europäischen Normungssystems verbessert wird. Zwar wird das europäische System offen, transparent, inklusiv und unparteiisch bleiben, doch sieht der Vorschlag vor, dass Aufträge, die den europäischen Normungsorganisationen von der Kommission erteilt werden, von den nationalen Delegierten – den nationalen Normungsgremien – der EU- und EWR-Mitgliedstaaten zu bearbeiten sind. Dadurch wird jegliche unangemessene Einflussnahme von Akteuren aus Ländern außerhalb der EU und des EWR auf die Entscheidungsprozesse bei der Entwicklung von Normen für Schlüsselbereiche wie Cybersicherheit oder Wasserstoff ausgeschlossen. Die Kommission wird der Inklusivität des Systems bzw. der Rolle der KMU und der Zivilgesellschaft weiterhin besondere Aufmerksamkeit widmen. Sie fordert die europäischen Normungsorganisationen auf, ihre Governance-Strukturen zu modernisieren, und wird ein Peer-Review-Verfahren mit den Mitgliedstaaten und den nationalen Normungsorganisationen auf den Weg bringen, das auf mehr Inklusivität, auch zugunsten von Zivilgesellschaft und Nutzern, und KMU-freundliche Bedingungen im Bereich der Normung abzielt. Gleichzeitig wird die Kommission die Bewertung der Verordnung über die Normung auf den Weg bringen.
03 Stärkere Führungsrolle Europas bei globalen Normen
Die Kommission wird im Rahmen des Hochrangigen Forums gemeinsam mit den EU-Mitgliedstaaten und den nationalen Normungsgremien einen neuen Mechanismus einrichten, um Informationen auszutauschen und den europäischen Ansatz für die internationale Normung zu koordinieren und zu stärken. Sie strebt auch eine stärkere Koordinierung zwischen den EU-Mitgliedstaaten und gleich gesinnten Partnern an. Die EU wird Normungsprojekte in afrikanischen Ländern und in den Nachbarschaftsländern finanzieren.
04 Förderung der Innovation
Die Kommission schlägt vor, das Potenzial der EU-finanzierten Forschung besser auszuschöpfen, um Innovationsprojekte durch Normungstätigkeiten aufzuwerten und den Normungsbedarf frühzeitig zu antizipieren. Es wird ein den „Standardisation Booster“ eingerichtet, um Forschende im Rahmen von Horizont 2020 und Horizont Europa dabei zu unterstützen, die Relevanz ihrer Ergebnisse für die Normung zu testen. Bitte Mitte 2022 soll ein europäischer Verhaltenskodex für Forschende im Bereich Normung ausgearbeitet werden, um Normung und Forschung/Innovation im Wege des Europäischen Forschungsraums (EFR) stärker miteinander zu verknüpfen.
05 Den Generationenwechsel bei den Sachverständigen erleichtern
Normung ist auf die besten Sachverständigen angewiesen, und Europa steht vor einem Generationenwechsel. Die Kommission wird akademische Kreise stärker für Normen sensibilisieren und dafür z. B. künftig EU-Hochschultage und Ausbildungsmaßnahmen für Forschende organisieren.
Die für das Ressort „Ein Europa für das digitale Zeitalter“ zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager erklärte dazu: „Bemühungen, mit denen sichergestellt wird, dass für die Zwecke der künstlichen Intelligenz verwendete Daten geschützt sind und mobile Geräte nicht gehackt werden können, beruhen auf Normen und müssen mit demokratischen Werten der EU im Einklang stehen. Ebenso brauchen wir Normen, um wichtige Investitionsvorhaben, z. B. in den Bereichen Wasserstoff- und Batterientechnologie, umzusetzen und um Kapital aus Investitionen in Innovationen zu schlagen, indem wir Unternehmen aus der EU einen wichtigen Vorsprung verschaffen.“
Der für den Binnenmarkt zuständige EU-Kommissar Thierry Breton ergänzte: „Technische Normen sind von strategischer Bedeutung. Europas technologische Souveränität, die Fähigkeit, Abhängigkeiten zu verringern, und der Schutz der Werte der EU werden von unserer Fähigkeit abhängen, weltweit Normen festzulegen. Mit der heute präsentierten Strategie legen wir unsere Normungsprioritäten unmissverständlich dar und schaffen die Voraussetzungen dafür, dass europäische Normen zu globalen Benchmarks werden. Wir ergreifen Maßnahmen, um die Integrität des europäischen Normungsprozesses zu wahren und die europäischen KMU sowie europäische Interessen in den Mittelpunkt zu stellen.“
"Viel Licht und wenig Schatten" – das ergibt die erste Analyse der neuen Normungsstrategie von Sibylle Gabler, der Leiterin für Regierungsbeziehungen beim DIN e.V. Ihr Kurzfazit besagt, dass die Standardisierung zwar auf ein neues politisches Niveau gehoben wird und es wirklich einmal neue Ideen und Maßnahmen gibt, dass aber auch problematische Tendenzen erkennbar sind (Link zum ganzen Beitrag siehe unten).
Was ist Ihre Meinung zur neuen EU-Normungsstrategie? Kontaktieren Sie uns gern, wenn Sie sich zu dem Vorhaben austauschen wollen.