Die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie 2024/2853

Umfangreiche gesetzliche Änderungen stehen an

Am 18. November 2024 ist im Amtsblatt Teil L die lange erwartete Produkthaftungsrichtlinie 2024/2853 veröffentlicht worden. Der Langtitel lautet:

Richtlinie (EU) 2024/2853 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2024 über die Haftung für fehlerhafte Produkte und zur Aufhebung der Richtlinie 85/374/EWG des Rates (Text von Bedeutung für den EWR).

Die Richtlinie ist von den Mitgliedstaaten bis zum 9. Dezember 2026 in nationales Recht umzusetzen und ab diesem Stichtag sind die neuen Vorschriften anzuwenden. Zu diesem Stichtag wird die Vorgängerrichtlinie 85/374/EWG aufgehoben.

Es gibt 64 Erwägungsgründe auf 11 Seiten, die durchaus lesenswert sind, um die Hintergründe für die Neufassung des EU-Produkthaftungsrechts besser einordnen zu können. Der verfügende Rechtsteil der Richtlinie umfasst 11 Seiten.

Diese Richtlinie gilt für alle Produkte, die nach dem 9. Dezember 2026 in den Verkehr gebracht werden. Sie gilt nicht für freie und quelloffene Software, die außerhalb einer Geschäftstätigkeit entwickelt oder bereitgestellt wird. 

Wichtig ist im Zusammenhang mit der Harmonisierung - sofern diese Richtlinie nichts anderes bestimmt (vgl. Artikel 18 bzgl. Entwicklungsrisiken) - dass die Mitgliedstaaten weder von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichendes nationales Recht aufrecht erhalten noch ein solches einführen. Dies gilt auch für strengere oder weniger strenge Bestimmungen zur Erreichung eines anderen Schutzniveaus für Verbraucher und andere natürliche Personen. 

Als Produkt wird jede bewegliche Sache bezeichnet, auch wenn diese in eine andere bewegliche oder unbewegliche Sache integriert oder damit verbunden ist: Ferner sind darunter auch Elektrizität, digitale Konstruktionsunterlagen, Rohstoffe und Software zu verstehen (Art. 4 Nr. 1). Die fettgenannten Begriffe sind neu hinzugekommen.

Von hoher Bedeutung ist der neue Rechtsbegriff „Kontrolle des Herstellers“. Dieser bezeichnet den Umstand, dass 

  1. der Hersteller eines Produkts folgende Handlungen vornimmt oder - wenn es sich um Handlungen Dritter handelt - diese genehmigt bzw. ihnen zustimmt:
    1. die Integration, Verbindung oder Bereitstellung einer Komponente, einschließlich Software-Updates oder -Upgrades; oder
    2. die Änderung des Produkts, einschließlich wesentlicher Änderungen;
  2. der Hersteller eines Produkts in der Lage ist, Software-Updates oder -Upgrades selbst bereitzustellen oder durch einen Dritten bereitstellen zu lassen.

Wichtig sind in diesem Zusammenhang die Haftungsausschlüsse gemäß Art. 11 (1). Dazu muss der jeweilige betroffene Wirtschaftsakteur einen der in den Buchstabe a) bis g) im Abs. 1 genannten Umstände beweisen, um eine Haftungsinanspruchnahme durch einen Geschädigten zu vermeiden.

Abweichend von Absatz 1 Buchstabe c) („Wahrscheinlichkeit der Fehlerhaftigkeit, die den Schaden verursacht hat, dass diese zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens, der Inbetriebnahme oder - bei einem Lieferanten - des Bereitstellens auf dem Markt noch nicht bestanden hat oder dass diese Fehlerhaftigkeit erst nach dem betreffenden Zeitpunkt entstanden ist“) kann kein Haftungsausschluss geltend gemacht werden, wenn die Fehlerhaftigkeit eines Produkts auf eine der folgenden Ursachen zurückzuführen ist, sofern sie der Kontrolle des Herstellers unterliegt:

  1. einen verbundenen Dienst,
  2. Software, einschließlich Software-Updates oder -Upgrades,
  3. ein Fehlen von Software-Updates oder -Upgrades, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit erforderlich sind,
  4. eine wesentliche Änderung des Produkts.

Der nächste wichtige Punkt im Zusammenhang mit einem Haftungsausschluss sind Entwicklungsrisiken (Art. 18). Abweichend von Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe e) („Fehlerhaftigkeit konnte nach dem objektiven Stand der Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens oder der Inbetriebnahme des Produkts oder in dem Zeitraum, in dem sich das Produkt unter der Kontrolle des Herstellers befand, nicht erkannt werden“) können die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Rechtsordnungen bestehende Maßnahmen beibehalten, wonach ein Wirtschaftsakteur auch dann haftbar ist, wenn er beweist, dass die Fehlerhaftigkeit nach dem objektiven Stand der Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens oder der Inbetriebnahme des Produkts oder in dem Zeitraum, in dem sich das Produkt unter der Kontrolle des Herstellers befand, nicht erkannt werden konnte.

Genauso können die Mitgliedstaaten in ihren Rechtsordnungen Maßnahmen neu erlassen oder ändern, wonach ein Wirtschaftsakteur auch dann haftbar ist, wenn er beweist, dass die Fehlerhaftigkeit nach dem objektiven Stand der Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens oder der Inbetriebnahme des Produkts oder in dem Zeitraum, in dem sich das Produkt unter der Kontrolle des Herstellers befand, nicht erkannt werden konnte.

Diese Vorschriften müssen gemäß Art. 18 (3) 

  1. auf bestimmte Kategorien von Produkten beschränkt,
  2. durch Ziele im öffentlichen Interesse gerechtfertigt und
  3. insofern verhältnismäßig sein, als sie geeignet sind, die Verwirklichung der angestrebten Ziele zu ermöglichen, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.

Diese nationalen Vorschriften müssen gemäß Art. 18 (4) der Kommission mitgeteilt werden. Darin ist die Maßnahme zu begründen, inwiefern diese Maßnahme mit Art. 18 (3) vereinbar ist.

Nicht zu unterschätzen in seiner Bedeutung ist der Herstellerbegriff (Art. 4 Nr. 10), der im Vergleich zur Vorgängerrichtlinie geändert wurde:

Als Hersteller gilt jede natürliche oder juristische Person, die

  1. ein Produkt entwickelt, herstellt oder produziert,
  2. ein Produkt entwerfen oder herstellen lässt oder durch Anbringen ihres Namens, ihrer Marke oder eines anderen Erkennungszeichens auf diesem Produkt als Hersteller auftritt oder
  3. ein Produkt für den Eigenbedarf entwickelt, herstellt oder produziert;

Konkret neu hinzugekommen sind die Wirtschaftsakteure „Bevollmächtigter, Importeur, Lieferant und Fulfilment-Dienstleister“. Diese Wirtschaftsakteure können mit dieser neuen Rechtsvorschrift im Falle eines Nicht-EU-Herstellers mit Art. 8 (1) Buchstabe c) in die Haftung genommen werden.

Auch ein Komponentenhersteller kann gemäß Art. 8 (1) Buchstabe b) Hersteller für eine fehlerhafte Komponente sein, wenn diese Komponente unter der Kontrolle des Herstellers in ein Produkt integriert oder damit verbunden wurde und die Fehlerhaftigkeit dieses Produkts verursacht hat, in die Haftung genommen werden.

Ist weder der Hersteller noch ein weiterer der oben genannten Wirtschaftsakteure ermittelbar, ist jeder Lieferant eines fehlerhaften Produkts haftbar, wenn

  1. die geschädigte Person den Lieferanten auffordert, einen in Absatz 1 genannten Wirtschaftsakteur mit Sitz in der Union oder seinen eigenen Lieferanten zu benennen, der ihm dieses Produkt geliefert hat, und 
  2. dieser Lieferant nicht binnen eines Monats nach Erhalt der Aufforderung gemäß Buchstabe a einen Wirtschaftsakteur oder seinen eigenen, in Buchstabe a genannten Lieferanten benennt.

Es wird sicherlich interessant sein, wie die 27 Mitgliedstaaten diese neue Richtlinie umsetzen. Völlig unklar ist, inwieweit das Vereinigte Königreich diese Richtlinie übernehmen wird.

Es ist offensichtlich, dass das neue Produkthaftungsrecht einige Verschärfungen beinhaltet, die die Implementierung eines Product-Compliance-Management-System (PCMS) als unabdingbar erscheinen lässt.

Sollten Sie Bedarf an einem Erstgespräch oder an einer Inhouse-Schulung zu diesem Thema haben, wenden Sie sich gerne an den Autor

 

Autor

Dipl.-Ing. (FH) Michael Loerzer 
Regulatory Affairs Specialist

 




BEGRIFFE UND ABKÜRZUNGEN

EWR: Der Europäische Wirtschaftsraum

 

Veröffentlicht am 14.11.2024
Kategorie: Fokus Industry, Fokus Consumer Goods & Retail, Fokus Electrical and Wireless, Fokus Medical Devices, Fokus Third Party, Insider-Compliance, Compliance

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